Verstößt Deutschland gegen EU-Vorgaben zur Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde? Generalanwalt plädiert gegen Deutschland

Die Europäische Kommission wirft der Bundesrepublik Deutschland vor, Vorgaben der Strom- und Gasbinnenmarktrichtlinie zur Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde zu missachten. Sie hat u.a. deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik beim EuGH eingeleitet. Der Generalanwalt hat am 14.01.2021 seine Rechtsauffassung geäußert.

In der Strom- bzw. Gasbinnenmarktrichtlinie der EU ist u.a. vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde gewährleisten. Zur Wahrung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde müssen die Mitgliedstaaten u.a. sicherstellen, dass die Regulierungsbehörde unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen kann. Der Regulierungsbehörde obliegt es, u.a. zumindest die Methoden zur Berechnung oder Festlegung der Bedingungen für die Tarife für die Verteilung oder ihrer Methoden festzulegen oder zu genehmigen.

Die EU-Kommission ist der Auffassung, dass die Regulierungsbehörde in Deutschland nicht völlig unabhängig die Tarife für den Netzzugang festlegen könne, da viele Elemente für die Festlegung dieser Tarife und Vertragsbedingungen in weiten Teilen in detaillierten Vorschriften der Bundesregierung geregelt seien. Dies richtet sich u.a. gegen die in § 6a StromNEV bzw. GasNEV enthaltenen Vorgaben für die Preisindizes zur Ermittlung der Tagesneuwerte der Netzanlagen, aber auch gegen weitere verordnungsrechtliche Vorgaben. Die EU-Kommission hat deswegen bereits in 2018 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingeleitet. Nachdem am 15.10.2020 die mündliche Verhandlung vor dem EuGH stattgefunden hat, hat der Generalanwalt am 14.01.2021 im Rahmen seiner Schlussanträge im Sinne der Kommission plädiert. Er vertritt die Auffassung, dass, dass Deutschland - u.a. durch nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Vorgaben zur Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde - gegen die in der Strom- und in der Gasbinnenmarktrichtlinie enthaltenen Pflichten verstoßen habe. Der Generalanwalt legt dabei die Richtlinienregelungen sehr weit aus. Danach bestünde auch keine Möglichkeit, die streitigen und derzeit in Verordnungen enthaltenen Vorgaben zur Netzentgeltregulierung inhaltsgleich im EnWG oder einem anderen Parlamentsgesetz zu regeln. In Kombination mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - der der BNetzA einen sehr weiten Beurteilungsspielraum bei der Auswahl und der Anwendung von Methoden zur Ermittlung von netzentgeltrelevanten Vorgaben zubilligt – stünden die Vorzeichen für einen wirksamen Rechtsschutz gegen regulierungsrechtliche Entscheidungen noch schlechter als das aktuell schon der Fall ist – vorausgesetzt der EuGH folgt den Schlussanträgen des Generalanwalts.

Die Schlussanträge des Generalanwalts stellen aber kein Präjudiz für die Entscheidung des EuGHs dar. Die Generalanwälte am EuGH unterstützen die Richter des Europäischen Gerichtshofs lediglich in ihrer Entscheidungsfindung. Der EuGH ist nicht an die Rechtsauffassung des Generalanwalts gebunden. Rein statistisch gesehen besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der EuGH entsprechend dem Schlussantrag des Generalanwalts entscheidet. Es bleibt aber abzuwarten, wie die Entscheidung des Gerichts tatsächlich ausfallen wird. Diese dürfte voraussichtlich im März oder im April 2021 verkündet werden. Erst dann wird der deutsche Gesetzgeber wissen, ob und wenn ja inwieweit gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht – und Netzbetreiber Klarheit haben, ob sie sich einem noch wesentlich größeren Beurteilungsspielraum der BNetzA als bisher gegenübersehen. Die EuGH-Entscheidung könnte also eine wichtige Zäsur für die Netzentgeltregulierung in Deutschland darstellen.