Neuerungen bei der Sicherheitsleistung der Systembetreiber nach dem Verpackungsgesetz Dr. Holger Thärichen (VKU) und Linus Viezens (GGSC)
Mit der Insolvenz des Systembetreibers Europäische LizenzierungsSysteme GmbH (ELS) im Frühjahr 2018 ist deutlich geworden, dass die Insolvenz eines Systembetreibers kein rein hypothetisches Szenario darstellt, sondern Realität werden und zu erheblichen Schäden bei Kommunen und Entsorgungswirtschaft führen kann.
Damit ist ein Instrument in das Blickfeld des Interesses von Ländern, Kommunen und Entsorgungswirtschaft gerückt, das seit Bestehen der Verpackungsverordnung eher ein Nischendasein gefristet hat: die von den Systemen zu erbringenden Sicherheitsleistungen.
Dabei hat die ELS-Insolvenz gezeigt, dass die bisherige Regelung in § 6 Abs. 3 S. 5 VerpackV nur eine sehr unvollkommene Absicherung öffentlicher Forderungen gegenüber den Systemen zulässt: Voraussetzung des Sicherungsfalls ist die Durchführung einer Ersatzvornahme, also einer verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Maßnahme infolge unterbliebener Entsorgungsleistungen der Auftragnehmer der Systeme mit ihren spezifischen vollstreckungsrechtlichen Voraussetzungen. Nicht abgesichert sind hingegen sonstige Zahlungsansprüche, die den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern gegenüber den Systemen zustehen, namentlich Mitbenutzungs- und Nebenentgeltansprüche. Demzufolge gingen in Folge der ELS-Insolvenz den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern Nebenentgelte im Sinne von § 6 Abs. 4 S. 8 VerpackV in der Höhe von ca. 3,3 Mio. € verloren. Mit dem neuen Verpackungsgesetz wird künftig jedoch eine deutlich umfassendere Absicherung der Ansprüche von Behörden und öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern möglich.
Umfang der Absicherung nach VerpackV und VerpackG
Nach der noch bis zum 31.12.2018 geltenden Verpackungsverordnung sind zunächst zwei Sicherungstatbestände zu unterscheiden: Zunächst bestimmt § 6 Abs. 5 S. 3 VerpackV, dass die für die Abfallwirtschaft zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Behörde bei der Feststellung nach Satz 1 oder nachträglich verlangen kann, dass der Systembetreiber eine angemessene, insolvenzsichere Sicherheit für den Fall leistet, dass er oder die von ihm Beauftragten die Pflichten nach dieser Verordnung ganz oder teilweise nicht erfüllen und die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger oder die zuständigen Behörden Kostenerstattung wegen Ersatzvornahme verlangen können. Hier hatte der Verordnungsgeber vor allem die Situation vor Auge, dass die „Gelben Säcke“ der dualen Systeme nicht abgeholt werden und schließlich von den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern entsorgt werden müssen.
Daneben sind die „Allgemeinen Anforderungen an Systeme nach § 6 Abs. 3“ gemäß Anhang I (zu § 6) zu beachten. Nach Nr. 2 Abs. 2 Nr. 3 dieses Anhangs zur Verpackungsverordnung haben die Betreiber der Systeme nach § 6 Abs. 3 VerpackV sicherzustellen, dass, falls der Systembetrieb eingestellt wird, die in den Sammeleinrichtungen des Systems tatsächlich erfassten Verpackungen entsorgt werden. Hierzu haben die Systeme spätestens im Zeitpunkt der Feststellungsentscheidung eine geeignete Sicherheit beizubringen.
Nach § 18 Abs. 4 VerpackG kann künftig die zuständige Genehmigungsbehörde jederzeit verlangen, dass ein System eine angemessene, insolvenzfeste Sicherheit für den Fall leistet, dass es oder die von ihm beauftragten Dritten Pflichten nach diesem Gesetz, aus der Abstimmungsvereinbarung nach § 22 Abs. 1 oder aus den Rahmenvorgaben nach § 22 Abs. 2 nicht, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß erfüllen und den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern oder den zuständigen Behörden dadurch zusätzliche Kosten oder finanzielle Verluste entstehen. Entsprechend spricht die Gesetzesbegründung auch davon, dass die Rückgriffsmöglichkeiten auf die Sicherheitsleistungen der Systeme gegenüber der früheren Fassung „deutlich erweitert“ worden sind.
Erweiterung der erfassten Pflichten
Die alte Regelung in § 6 Abs. 5 Satz 3 VerpackV schränkte den Rückgriff auf Fälle ein, in denen die Systembetreiber gegen Pflichten aus der VerpackV verstießen. Auch die neue Vorschrift in § 18 Abs. 4 VerpackG sieht insoweit zunächst vor, dass ein Rückgriff möglich ist, wenn Pflichten verletzt werden, die sich direkt aus dem VerpackG selbst ergeben. Zusätzlich ist nunmehr jedoch auch dann ein Rückgriff möglich, wenn in der Abstimmungsvereinbarung festgelegte oder durch Rahmenvorgabe vorgegebene Pflichten verletzt werden. Mit anderen Worten bringt der Gesetzgeber des VerpackG zum Ausdruck, dass die unmittelbar im Rechtsverhältnis zwischen Systembetreibern und öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern bestehenden Systempflichten eigenständig absicherbar sind, wiewohl auch diese Systempflichten ihre Grundlage im VerpackG haben.
a) Absicherung von Leistungsausfällen
Daraus folgt zunächst, dass – wie in der behördlichen Praxis auf Basis der VerpackV jedenfalls für Leichtverpackungen (LVP) bereits üblich – die Sammlung, der Transport und die Verwertung von Leichtverpackungen (LVP) und Glas als Systempflichten (§§ 14, 16 VerpackG) abgesichert werden können, da die Systeme für diese Materialfraktionen – anders als bei PPK – Träger der entsprechenden Erfassungssysteme sind. Die Sicherheitsleistung ist demnach zunächst so zu bemessen, dass bei einem Ausfall der LVP- und Glas-Erfassung und -Verwertung die Kosten einer Ersatzvornahme abgedeckt werden, wobei für Glas eine Absicherung dann unterbleiben kann, wenn für diese Abfallfraktion von einem dauerhaft positiven Marktwert ausgegangen werden kann, der die entsprechenden Entsorgungskosten kompensiert.
b) Absicherung von Mitbenutzungsentgelten
Weiterhin kann nun auch das Risiko abgesichert werden, dass in der Abstimmungsvereinbarung eine Mitbenutzung des Erfassungssystems des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers vereinbart worden ist und die Systembetreiber den entsprechenden Zahlungspflichten nicht nachkommen. Dies meint eine gemäß § 22 Abs. 3 VerpackG vereinbarte Mitbenutzung der kommunalen Wertstoffhöfe sowie eine gemäß § 22 Abs. 4 VerpackG vereinbarte Mitbenutzung des kommunalen PPK-Sammelsystems, die nach der neuen Rechtslage ebenfalls im Rahmen der Abstimmung zu regeln sind. Aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts, der alle vereinbarten Pflichten aus der Abstimmungsvereinbarung einschließt, sind nunmehr auch Wertstoffhof- und PPK-Mitbenutzungsentgelte absicherungsfähig.
c) Absicherung von Nebenentgelten
Ferner können nach § 18 Abs. 4 VerpackG auch Nebenentgeltforderungen abgesichert werden. Anders als die Mitbenutzungsentgeltansprüche nach § 22 Abs. 3 und 4 VerpackG sind die Nebenentgeltansprüche nach § 22 Abs. 9 Satz 1 VerpackG nicht „im Rahmen der Abstimmung“ zu regeln. Die entsprechende Pflicht der Systeme zur Zahlung von Nebenentgelten folgt vielmehr unmittelbar aus dem Verpackungsgesetz, es geht also um „Pflichten nach diesem Gesetz“ im Sinne von § 18 Abs. 4 VerpackG. Daher ist unschädlich, dass über die Nebenentgelte in der Praxis regelmäßig öffentlich-rechtliche Vereinbarungen zwischen dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und den Systemen außerhalb der Abstimmungsvereinbarung getroffen werden, da laut Gesetzesbegründung der Kostenerstattungsanspruch nach § 22 Abs. 9 VerpackG gerade unabhängig von der Abstimmungsvereinbarung geltend gemacht werden können soll.
§ 18 Abs. 4 VerpackG ist vor diesem Hintergrund auf eine enge Kooperation zwischen Genehmigungsbehörde und öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern angelegt, da letztere ihre Zahlungsansprüche zum Zwecke der Absicherung der Genehmigungsbehörde werden mitteilen müssen.
d) Umgang mit Forderungen öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger ohne Entgeltvereinbarungen
Fraglich kann sein, wie zu verfahren ist, wenn zum Zeitpunkt der Anordnung der Sicherheitsleistung in einzelnen Gebieten noch keine Abstimmungs- und Nebenentgeltvereinbarungen zustande gekommen oder Rahmenvorgaben streitbefangen sind. Hier wird man bzgl. der Rahmenvorgaben auf deren Bestandskraft bzw. vorläufige Vollziehbarkeit abstellen können. Hinsichtlich der Mitbenutzungs- und Nebenentgelte ist zu beachten, dass diese künftig in Orientierung an das bzw. in Anwendung des Bundesgebührengesetzes zu kalkulieren sind und namentlich die Mitbenutzungsentgelte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einen „abgabeähnlichen Tatbestand“ darstellen.
Sofern daher ein öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger eine prüffähige Kalkulation seiner Mitbenutzungs- und Nebenentgeltansprüche nach den Vorgaben des Bundesgebührenrechts der Genehmigungsbehörde vorlegt, wird sie diese auch dann bereits zur Grundlage der Berechnung der Sicherheitsleistungen machen können, wenn noch keine abschließende Vereinbarung hierüber mit den Systemen – bzw. mit dem gemeinsamen Vertreter nach § 22 Abs. 7 VerpackG – erzielt wurde. Als Alternativlösung ist auch denkbar, den Durchschnittswert der bereits abgeschlossenen Abstimmungs- und Nebenentgeltvereinbarungen des betreffenden Bundeslandes heranzuziehen, sofern eine aussagefähige Anzahl von Vereinbarungen vorliegt.
Erweiterung der Definition des Pflichtverstoßes
Der Wortlaut in § 18 Abs. 4 VerpackG wurde im Vergleich zur alten Regelung auch bei den Anforderungen an den Pflichtverstoß erweitert. Während bislang nur die vollständige oder teilweise Nichterfüllung von Pflichten erfasst wurde, ist der Rückgriff nun auch möglich, wenn Pflichten „nicht ordnungsgemäß“ erfüllt werden. Auch diese Änderung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Gesetzgeber die Rückgriffsmöglichkeit auf die Sicherheitsleistung „deutlich erweitern“ wollte. Es wird klargestellt, dass auch eine Schlechtleistung der Systembetreiber, die zu finanziellen Schäden führen kann, abgesichert werden muss.
Erweiterung der erstattungsfähigen Kosten
Ein entscheidender Unterschied ergibt sich im Hinblick auf die erstattungsfähigen Kosten. Nach der alten Regelung konnte nur die Erstattung von Kosten einer Ersatzvornahme verlangt werden. Nach § 18 Abs. 4 VerpackG sind hingegen nun alle durch den Pflichtverstoß verursachten Kosten und finanziellen Verluste erfasst. Zu den erstattungsfähigen Kosten zählen nunmehr nach der Gesetzesbegründung beispielsweise weitere Zusatzkosten wie Ermittlungs- und Verwaltungskosten oder Kosten für andere Vollstreckungsmaßnahmen. Der Gesetzgeber verweist in der Begründung zudem darauf, dass durch die Aufnahme der „finanziellen Verluste“ in die Regelung die Nichtleistung von u.a. in der Abstimmungsvereinbarung festgelegten Entgelten über die Sicherheitsleistung ausgeglichen werden kann.
Fazit
Insgesamt ist die neue Regelung vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die klare gesetzgeberische Intention besteht, die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und die zuständigen Behörden besser vor den finanziellen Folgen der wirtschaftlichen Risiken zu schützen, in denen sich die Systeme bewegen. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass Risiken für die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger – und damit mittelbar die Gebührenzahler – gerade auch bei den mit den Systemen zu treffenden Vereinbarungen bestehen; ein Risiko, das sich mit der ELS-Insolvenz zwischenzeitlich auch realisiert hat. Daher geht die neue Regelung nun über die Entsorgungspflichten der Systeme nach dem VerpackG im engeren Sinne (Stichwort: Ersatzvornahmen) hinaus und erfasst insbesondere auch Mitbenutzungs- und Nebenentgelte.
Somit wird den verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der Abstimmung mit den Systembetreibern Rechnung getragen und es werden die konkret im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers bestehenden Vereinbarungen zum Maßstab der Sicherheitsleistung gemacht. Sofern es im Zeitpunkt der Anordnung der Sicherheitsleistung noch an entsprechenden Vereinbarungen fehlt, wird man den gebührenrechtlich kalkulierten Zahlungsanspruch des betreffenden öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers zur Grundlage der Sicherheitsleistung machen können, um diesen nicht schutzlos zu stellen und im Sinne einer Prognoseentscheidung auch die künftigen Zahlungspflichten der Systeme vollständig abzubilden.