PPK-Mitbenutzungsentgelte auch bei rückwirkender Abstimmungsvereinbarung VG Gießen widerspricht Rechtsauffassung eines Dualen Systems
Das VG Gießen hat Ansprüche eines örE auf Zahlung von Mitbenutzungsentgelten für abgelaufene Zeiträume als begründet angesehen. Die Schließung der Meldeportale gehe zu Lasten des Systems, eine Nachmeldung sei grundsätzlich auch später denkbar. Ferner entstehe eine Bindung durch die 2/3 Mehrheit nach VerpackG, was auch Systeme, die die AV nicht bestätigen, binde.
Das VG Gießen hat am 09.08.2022 (Az.: 6 K 2794/21.GI) entschieden, dass ein Duales System die PPK-Entgelte für 2019 auch dann an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (örE) zu entrichten hat, wenn die Eingabeportale zum Zeitpunkt des Abschlusses der Abstimmungsvereinbarung (AV) bereits geschlossen sind.
Das VG Gießen kommt in der Entscheidung zu verschiedenen Ergebnissen, die aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger sehr zu begrüßen sind und wohl auch in anderen Konfliktsituationen mit den Betreibern des Dualen Systems hilfreich sein können.
Hintergrund des Rechtsstreits waren zunächst Zahlungsansprüche gegen ein Duales System, welches Mitbenutzungsentgelte für 2019 nicht an den örE gezahlt hatte.
eProblematisch war der verspätete Abschluss einer Abstimmungsvereinbarung, die rückwirkende Geltung entfalten sollte. Zum Abschlusszeitpunkt waren indes die Meldeportale für den Mengenstromnachweis geschlossen, sodass das System keine Rechtsgrundlage für die Entrichtung der Sammelentgelte mehr erkannte. Dem ist das Gericht vollumfänglich entgegengetreten.
Zunächst stellt das VG Gießen fest, dass eine Bindung an die AV auch dann gelte, wenn das jeweilige System diese nicht direkt abgeschlossen habe. Hier sei auf das VerpackG abzustellen, wonach eine Bindung über die 2/3 Mehrheit erreicht werden könne. Die Vertretung des DS sei hier durch den Gemeinsamen Vertreter nach § 22 Abs. 7 VerpackG erfolgt. Bei dieser Norm handele es sich nach Ansicht der Kammer auch um eine gesetzliche Vertretungsvollmacht, wenn 2/3 der Systeme der AV zustimmen. Die Systeme müssten dem gemeinsamen Vertreter nicht bereits vor Beginn der Vertragsverhandlungen eine rechtsgeschäftliche Abschlussvollmacht im Sinne des § 167 BGB erteilen, sondern hätten – wie vorliegend – die Möglichkeit, selbst nach den Verhandlungen abzustimmen, um dann die gesetzliche Vertretungsmacht „auszulösen“. Erst dann, wenn die Systeme über das Ergebnis abgestimmt und dabei Zweidrittel der Systeme zugestimmt haben, seien die Voraussetzungen der gesetzlichen Abschlussvollmacht erfüllt. Dass es sich bei der Regelung lediglich um eine interne Zustimmungsregelung handele, kann das Gericht aus dem Gesetzeswortlaut nicht ableiten.
Abschließend verweist das VG Gießen darauf, dass auch bei anderer Absicht eine konkludente Genehmigung vorliege, da die Systeme die Sammelstrukturen des örE genutzt hätten.
Ferner geht das VG Gießen davon aus, dass die Anlage 7 ein wirksamer Bestandteil der AV sei, da diese inhaltlich aufeinander Bezug nähmen.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den § 22 Abs. 7 Satz 2 VerpackG verwirft das Gericht in vollem Umfange, dieser sei inhaltlich hinreichend bestimmt.
Der Zahlungsanspruch sei auch nicht dadurch erloschen, dass der Mengenstromnachweis des Systems zum Zeitpunkt der Übermittlung der Mengen durch den örE bereits erbracht worden sei, so das Gericht. Es sei nicht ersichtlich, dass die Übermittlung der Mengennachweise nach dem 01.06.2020 nach § 275 Abs. 1 BGB dadurch unmöglich geworden sei, dass das System seinen Mengenstromnachweis bereits erbracht habe. Es handele sich bei der Übermittlung der Mengennachweise durch den örE nicht um eine Fixschuld, wonach die Einhaltung der Leistungszeit für die Systeme derart wesentlich sei, dass eine verspätete Leistungserbringung keine Erfüllung mehr darstelle, die Leistung mithin nicht mehr nachholbar sei. Termine in der AV zur Übermittlung der Mengenstromnachweise machten diese nicht zu einem Fixgeschäft i.S.d. Gesetzes. Es sei den Systemen möglich, die Nachweise auch zu einem späteren Zeitpunkt der „Zentralen Stelle“ noch beizubringen. Auch sieht das VG Gießen die alleinige Schuld für die Nichteinstellung der Mengenstromnachweise bei dem Dualen System. Es habe die Eingabeportale geschlossen, sodass der örE diese nicht mehr nutzen konnte, das Risiko sei daher nicht beim örE anzusiedeln, die Gegenleistung (Zahlung der Entgelte) könne nicht entfallen. Dies gelte ferner, da bei Vertragsschluss im Juni 2020 bereits absehbar war, dass die Meldung der Mengen für 2019 nicht mehr rechtzeitig erbracht werden könne.