Gerichte stärken Einzelfallbetrachtung bei der Anordnung der Verbringung von Abfalltonnen Starre Grenzen für die zulässige Entfernung nicht statthaft
Das OVG Schleswig-Holstein hat in einer Entscheidung unterstrichen, dass es keine starre Grenze für die zulässige Entfernung gebe, über die ein Anwohner einer nicht befahrbaren Straße seine Abfalltonne zum angeordneten Sammelplatz verbringen müsste. Habe der Anwohner hierbei Schwierigkeiten, so könne er sich der Dienste Dritter für diese Aufgabe bedienen.
Kürzlich haben sich zwei Instanzen in Schleswig-Holstein mit der Anordnung zur Verbringung einer Abfalltonne zu einem ca. 180 m vom Grundstück entfernten Sammelplatz auseinandergesetzt.
So hat zunächst das VG Schleswig-Holstein mit Beschluss vom 18.10.2021 (Az.: 6 B 42/21) diese Anordnung näher beleuchtet.
Hintergrund des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens war eine Anordnung, nach der ein Anlieger seine volle Tonne zum Sammelzeitpunkt um 06:30 Uhr an einem näher benannten Sammelplatz zur Abholung bereitzustellen habe. Der dem Antragsteller genannte Sammelplatz war von dessen Grundstück 184 m entfernt. Dieses Begehren stützte sich auf die Abfallsatzung des örtlichen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, die solche Anordnungen u.a. dann zuließ, wenn die betroffene Straße mit den Sammelfahrzeugen nicht befahrbar sei. Sie gelte auch als nicht befahrbar, wenn das Sammelfahrzeug rückwärtsfahren müsste.
Das VG Schleswig-Holstein hat die aufschiebende Wirkung des Wiederspruchs wiederhergestellt. Die Anordnung sei rechtswidrig, da das Gericht von einer Unverhältnismäßigkeit der aufgegebenen Maßnahme ausgehe. Grund sei zunächst, dass in der Rechtsprechung Entfernungen bis zu 100 m als zumutbar anerkannt wurden. Der dem Antragsteller benannte Sammelplatz sei jedoch 184 m von seinem Grundstück entfernt und damit bereits deutlich über dieser Grenze. Zudem sei der Antragsteller schwerbehindert. Es sei ihm daher nicht, wie möglicherweise einem gesunden Erwachsenen, möglich, die Tonnen ohne körperliche Schmerzen über entsprechend lange Strecken zu transportieren. Eine entsprechende Einzelfallwürdigung sei nicht erfolgt. Letztlich erkennt das Gericht auch ein milderes Mittel, welches in der Abholung der Tonnen an der Grundstücksgrenze durch einen Mitarbeiter des Sammlungsunternehmens bestanden hätte. Eine Extragebühr hierfür sei denkbar, der Eingriff in diesem Fall jedoch immer noch milder.
Mit der Frage hat sich kurze Zeit später auch das OVG Schleswig-Holstein beschäftigt, welches am 09.02.2022 (Az.: 5 MB 42/21 - bislang liegt nur die Pressemitteilung vor) grundsätzlich entschieden hat, dass Anwohner einer Sackgasse verpflichtet werden können, ihre Mülltonne zu einem dafür eingerichteten Sammelplatz zu bringen. Ein Anspruch auf eine „individuelle Lösung“ zu Lasten der anderen Entgeltzahler oder auf Aufrechterhaltung der in der Vergangenheit praktizierten Müllentsorgung bestehe nach Ansicht des Gerichts nicht.
Das OVG erkannte nunmehr an, dass es wegen der Lage des Grundstücks in der Sackgasse weder eine Wendemöglichkeit für das Abfallsammelfahrzeug gebe, noch ein Rückwärtsfahren anzuordnen sei, da ein solches nach Einschätzung der Berufsgenossenschaft und der Gesetzlichen Unfallversicherung nur kurze Strecken umfassen dürfe, die Grenze sei bei 150 m zu ziehen.
Die Frage, inwieweit es den Anwohnern zuzumuten sei, ihre Tonnen zu dem Sammelplatz zu verbringen, sei im Einzelfall zu entscheiden. Nach Ansicht des Gerichts dürfe es hierfür keine starre Grenze (wie etwa 100 m) geben. Bereite die Bereitstellung der Tonne dem Anwohner Schwierigkeiten, so könne er sich notfalls der Dienste Dritter bedienen, so das Gericht.