Finanzverwaltung veröffentlicht lange erwartetes Anwendungsschreiben
Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs bei Rechnungsberichtigung

Die deutsche Rechtsprechungs- und Verwaltungspraxis stellt hohe formale Anforderungen an Rechnungen, aus denen der Leistungsempfänger die Vorsteuer abziehen will. Mit zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2016 hatte der Europäische Gerichtshof diese Praxis in Frage gestellt. Nun hat die Finanzverwaltung mit einem neuen Anwendungsschreiben reagiert.

01.10.20

Gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG setzt der Vorsteuerabzug aus einer für ein Unternehmen empfangenen Lieferung der Leistung voraus, dass der Leistungsempfänger in Besitz einer nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellten Rechnung ist. § 14 Abs. 4 UStG enthält die Vorgaben für die Pflichtangaben, die in einer solchen Rechnung enthalten sein müssen. Im Wesentlichen handelt es sich hier um formale Vorgaben.

In Betriebsprüfungen kommt es immer wieder vor, dass dem geprüften steuerpflichtigen Unternehmen der Vorsteuerabzug aus Eingangsrechnungen versagt wird, die diese Pflichtabgaben nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß enthalten. Zwar kann in diesen Fällen vom Rechnungsteller eine korrigierte Rechnung verlangt werden, jedoch entspricht es der bisherigen Praxis der Finanzverwaltung, die auch durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gedeckt war, dass der Vorsteuerabzug erst ab dem Zeitpunkt zugelassen wird, zu dem die korrigierte Rechnung vorliegt.

Die Rechnungskorrektur wirkt demnach nicht rückwirkend zum Zeitpunkt der ursprünglichen Rechnungserteilung. Für das Unternehmen, dass vor diesem Hintergrund den ursprünglichen Vorsteuerabzug „zu früh“ geltend gemacht hat, ergibt sich somit in aller Regel eine endgültige Zinsbelastung.

Diese unionsrechtliche Zulässigkeit dieser Praxis wurde durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 15.09.2016 (C-516/14 – Barlis, C-518/14 – Senatex) in Frage gestellt. So hat der EuGH im Fall Senatex ausdrücklich klargestellt, dass die Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf zwingende Rechnungsangaben entgegen der deutschen Praxis möglich ist. In der Sache Barlis vertrat der EuGH die Auffassung, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nicht allein deshalb verweigert werden darf, weil die Rechnung nicht die formellen Voraussetzungen erfüllt, obwohl die Finanzbehörde über alle notwendigen Informationen verfügt, um zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen.

Angesichts dieser Rechtsprechung wird schon länger ein BMF-Schreiben erwartet, mit dem die Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung umgesetzt werden. Am 18.09.2020 wurde dieses Anwendungsschreiben nun endlich veröffentlicht. Darin berücksichtigt die Finanzverwaltung auch die zu der Thematik zwischenzeitlich ergangene BFH-Rechtsprechung, die ihrerseits die EuGH-Rechtsprechung an verschiedenen Punkten konkretisiert hatte.

In dem BMF-Schreiben wird klargestellt, dass sich auch nach Auffassung der Finanzverwaltung nichts an dem Grundsatz ändert, wonach der Vorsteuerabzug das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung nach §§ 14, 14a UStG voraussetzt. In bestimmten Fällen will die Finanzverwaltung jedoch ausnahmsweise auch fehlerhafte Rechnungen, ohne dass diese korrigiert werden müssten, anerkennen. So wird nicht beanstandet, wenn der Leistungsempfänger eine Rechnung besitzt, die nicht alle formellen Voraussetzungen erfüllt. Dies gilt dann, wenn nachgewiesen wird, dass die Finanzverwaltung anderweitig über sämtliche notwendigen Angaben verfügt. Die Finanzverwaltung wird hier aber strenge Maßgaben anlegen, so dass in der Praxis voraussichtlich der rückwirkenden Rechnungskorrektur eine größere praktische Bedeutung zukommen wird.

Hierzu stellt die Finanzverwaltung angesichts der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 22.01.2020 – XI R 10/17) zunächst klar, dass auch der Stornierung und Neuerteilung einer Rechnung eine Rückwirkung zukommen kann. Eine Rückwirkung der Rechnungskorrektur kommt dann in Betracht, wenn die ursprüngliche Rechnung zumindest Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält.

Das BMF-Schreiben enthält auch Beispiele zu Sachverhalten, in denen eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung nicht in Frage kommt. So soll ein ursprünglich fehlender oder unzutreffend zu niedrig ausgewiesener Steuerbetrag nicht mit Rückwirkung berichtigt werden können. Das Recht zum Vorsteuerabzug in Höhe des Mehrbetrages kann demnach erst in dem Besteuerungszeitraum ausgeübt werden, in dem der Leistungsempfänger im Besitz der Rechnung ist, die den zutreffenden Steuerbetrag ausweist. Die Grundsätze des Anwendungsschreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.