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Das war der Bundeskongress für Abfallwirtschaft und Stadtsauberkeit 2023

Es ist alle zwei Jahre DER Pflichttermin der kommunalen Abfallwirtschaft: Der Bundeskongress für Abfallwirtschaft und Stadtsauberkeit. Am 3. und 4. Mai 2023 war es nach coronabedingter Pause endlich wieder so weit: Im Hotel Pullman Berlin Schweizerhof trafen sich auf Einladung des VKU das Who is Who der Branche und abfall- und umweltpolitische Sprecher der Bundestags- und Abgeordnetenhausfraktionen und aus dem Europaparlament mit Impulsgebern wie Professor Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung.

10.05.23

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VKU Service GmbH / Jonathan Goepfert

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Neben dem Netzwerken und der Diskussion aktueller Themen ging es auf dem Bundeskongress der kommunalen Abfallwirtschaft und Stadtsauberkeit 2023 um nichts Geringeres als die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie der Bundesregierung und das Einwegkunststofffondsgesetz. Auch der Klimaschutz und in diesem Zusammenhang der CO2-Preis als mögliches Klimaschutzinstrument für die Abfallwirtschaft wurden diskutiert wie auch Perspektiven rund um New Work – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels – und die dafür notwendigen politischen und betrieblichen Weichenstellungen.

Nach einer kurzen Einführung durch den Moderator der Veranstaltung, Dr. Holger Thärichen, Geschäftsführer Abfallwirtschaft und Stadtsauberkeit VKS, VKU, ging es im Vortrag von VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing um Herausforderungen und Chancen für die Entsorgungswirtschaft.

Liebing: „Wir stehen als Praktiker und Pragmatiker mitten drin im Prozess der Energiewende.“

So sei es in den aktuellen Krisenzeiten nicht mehr selbstverständlich, Deutschland am Laufen zu halten. „Wir sind gut durch das Krisenjahr 2022 gekommen, aber die Krise ist noch nicht vorbei“, sagte Liebing, „wir müssen weiter auf Energieeinsparpotenziale achten, um uns auf mögliche Mangellagen vorzubereiten.“

Deshalb müsse nach dem durch Krieg und Krisen geprägten Jahr 2022 nun 2023 das Jahr werden, in dem das Thema Energiewende nach vorne gebracht werde müsse. „Wir stehen als Praktiker und Pragmatiker mitten drin im Prozess der Energiewende und in diesem Prozess müssen wir unseren Beitrag leisten.“

Diese Themen seien ins Hintertreffen geraten: „Klimaneutralität bis 2045 können wir nur erreichen, wenn die Mittel auch praxistauglich sind. Und dies diskutieren wir auch mit den Politikern im Deutschen Bundestag.“

Gerade auch die Abfallwirtschaft könne eine Rolle spielen in der Energie- und Wärmewirtschaft: „Gerade die Gewinnung von Gas aus Bioabfällen bietet ein Potenzial, das wir einbringen können und wollen. Krieg und Krise haben die Kreislauf- und Ressourceneffizienz und den Schutz von Ressourcen insgesamt noch wertvoller gemacht“, so Liebing.

Im darauffolgenden ersten Themenblock „Kreislaufwirtschaftsstrategie und die aktuellen politischen Herausforderungen“ stellte Ministerialdirektorin Dr. Susanne Lottermoser, Leiterin der Abteilung Transformation – Digitalisierung, Circular Economy, Klimaanpassung im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) „Aktuelle Überlegungen zur nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie“ an.

Sie plädierte darin dafür, Ressourcen möglichst lange im Kreislauf zu halten, denn 50 Prozent der globalen Treibhausgase gingen auf die Gewinnung fossiler Rohstoffe zurück. Recycling sei hier ein zentral wichtiges Stichwort und die Kreislaufwirtschaft müsse gleich zu Beginn des Produktionsprozesses mitgedacht werden; Hersteller müssten daher mit den Verwertern kooperieren, damit die Verwerter den Kreislauf schließen können: „Vernetzung als Aufgabe scheint mir die größte Aufgabe hin zu einer Circular Economy“, sagte sie.

Vertrauen in Sekundärrohstoffe zu etablieren, sei wichtig, aber auch einen rechtlichen Rahmen, ebenso wie Normen und Qualitätssiegel für Beschaffungsstellen zu schaffen, damit Sekundärrohstoffe ausreichend und konstant zur Verfügung stehen. Darüber hinaus ginge es aber natürlich auch um die Langlebigkeit von Produkten, Reparaturfähigkeit – und eine Änderung des Konsumverhaltens.

Da dies in der Umsetzung noch nicht zufriedenstellend sei, habe die Bundesregierung beschlossen, die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie, kurz NKWS, zu erarbeiten. Diese soll als eine Art „Rahmenstrategie“ kurze, mittlere und langfristige Pfade zum Erreichen der Circular Economy aufzeigen sowie Ziele für Stoffströme und zentrale Ziele und Maßnahmen formulieren.

Lebhafte Diskussion zur „Kreislaufwirtschaftsstrategie – Was kommt auf die Branche zu?“

Darüber diskutierte sie im darauffolgenden Panel: “Kreislaufwirtschaftsstrategie – Was kommt auf die Branche zu?“ mit Dr. Jan-Niclas Gesenhues MdB, umweltpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen, Ralph Lenkert MdB, Umweltpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Judith Skudelny MdB, Sprecherin für Umwelt- und Verbraucherschutz der FDP-Bundestagsfraktion und Danny Freymark MdA, Sprecher für Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses von Berlin unter Moderation von Dr. Thärichen.

Die Diskussion drehte sich unter anderem darum, dass der Einwegkunststoff-Fonds der richtige Schritt wäre, da die Erhöhung des Herstelleranteils an den Entsorgungskosten die Kommunen stärke, da nun Hersteller umdenken müssten, um recyclingfähige Produkte auf den Markt zu bringen. Darüber hinaus diskutierte die Runde über mechanisches vs. chemisches Recycling, letzteres brächte vermeintlich den Durchbruch, aber bei hohem Energieeinsatz und hohen Kosten sei chemisches Recycling für den Massenmarkt nicht geeignet und nähme auch den Innovationsdruck für Kreislaufwirtschaft.

Im einem zweiten Themenblock konnten die Teilnehmenden für ihr individuelles Kongressprogramm nacheinander zwei aus drei parallelen Breakoutsessions wählen, etwa zu Smarten Füllstandssystemen als Service mit
Christian Wedekind, adhoc networks GmbH , zu Algorithmus-gestützter Tourenplanung und Gebietsoptimierung mit Hubertus Kraus, und Peter Pauckner, beide ISL Integrated Skills Deutschland GmbH, und (Kommunale) Kooperationen zur Einführung eines offenen Mehrwegpfandsystems – ein Praxisbeispiel aus Darmstadt, mit Daniel Pfeffer, HEAG FairCup GmbH.

Themenblock: Umsetzung der EU-Einwegkunststoffrichtlinie

Im Plenum ging es später weiter mit dem Themenblock Umsetzung der EU-Einwegkunststoffrichtlinie. Wie diese gelingen kann, darüber referierte Ministerialrat Dr. Jean Doumet, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV).

Laut Doumet sei es bei der Umsetzung wichtig, dass der Fonds nicht nach Jahren, sondern im darauffolgenden Jahr ausbezahlt werde. Was die Ausweitung auf andere Kunststoffprodukte angehe, sei es ein großes Stück Arbeit, jetzt müsse der Gesetzgeber entscheiden als wichtiges Signal auch für die kommunale Seite.

Im Anschluss referierte Juliane Rode, Aufbaustab Einwegkunststofffonds, Umweltbundesamt, zum Thema „Organisation und Betrieb des Einwegkunststofffonds – Zentrale Regelungen, Pflichterfüllung und Fondsverwaltung“. Zur Frage „Wer soll das bezahlen – Ausgestaltung des Kosten- und Mittelauskehrmodells“ vermittelte Rüdiger Reuter, INFA Institut für Abfall, Abwasser und Infrastruktur-Management GmbH, Impulse.

Im anschließenden Panel zur „Einwegkunststoffrichtlinie – Neuer Rückenwind für saubere Städte!?“ diskutierten alle drei Referenten miteinander unter Moderation von Yvonne Krause, Referentin Stadtsauberkeit, Winterdienst und Baubetriebshöfe und Dr. Holger Thärichen.

Ausklang des ersten Kongresstages in eindrucksvoller Kulisse

Die Abendveranstaltung in der Eventlocation Wasserwerk Berlin stand im Zeichen des 20-jährigen Jubiläums des Fördervereins. VKU-Chef Ingbert Liebing und VKU-Vizepräsident Patrick Hasenkamp würdigten in ihren Laudationes den Verein und sein langjähriges Mitglieder Wolfgang Bagin, der in der Mitgliederversammlung am zweiten Kongresstag verabschiedet wurde. Dazu und zu seiner Nachfolge lesen Sie mehr in Teil 2 zum zweiten Tag des Bundeskongresses.

Der zweite Tag

An Tag zwei gleich zu Beginn des Bundeskongresses hielt Prof. Dr. Dr. Hans Joachim Schellnhuber, Gründer und Co-Geschäftsführer / Direktor emeritus, Bauhaus Erde / Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung einen Impulsvortrag zum Thema Klimaschutz, Kohlenstoff und Kreislaufwirtschaft. Seit 40 Jahren beobachtet und erforscht Schellnhuber die Entwicklungen des Klimas und zeichnete vor dem Kongresspublikum ein düsteres Szenario zur Zukunft der Menschheit: „Bei Klima und Artenvielfalt haben wir die planetaren Grenzen überschritten“, so Schellnhuber auf dem Bundeskongress. Es sei gut gemeint, die Erderwärmung auf kleiner gleich 1,5 Grad zu halten, „aber wir haben keine Chance, dieses Ziel einzuhalten. Wir werden das 1,5-Gradziel – und hier sind sich die meisten Experten einig – wahrscheinlich schon in den nächsten zehn Jahren erreichen.“

Was ihm selbst schlaflose Nächte bereite, sei der exponentielle Temperaturanstieg in Ozeanen: Die Temperaturen gingen hier seit 1960 fast linear nach oben. „Die Weltmeere erwärmen sich von Jahr zu Jahr, sie nehmen mehr Energie von der Sonne auf, als zurückgestrahlt wird: Pro Sekunde sind das Energie-Äquivalente von fünf Hiroshimabomben, die sich in den Ozeanen speichern. Wir fahren mit einem solchen Szenario unsere Zivilisation an die Wand.“

Was diese Entwicklung noch aufhalten könne? Laut Schellnhuber globale Wiederaufforstung, CO2-Speicherung, aber auch die Moore zu vernässen, und z.B. auch die sogenannte „Waldbau-Pumpe“, also die Speicherung von Kohlenstoff „in den Gebäuden der Welt“. Diese müssten künftig aus Biomasse gebaut und die Baustoffe immer wieder recycelt werden, dann könnten Gebäude als Kohlenstoffsenken dienen.

Seine Prognose für die Energieversorgung der Zukunft: Gewinnen wird die Photovoltaik-Energie, da der Aufwand geringer sei als z.B. für offshore-Windanlagen.

Schellnhubers Erkenntnisse und Lösungsvorschläge wurden im Anschluss in einer Diskussion zum „CO2-Preis als Klimaschutzinstrument für die Abfallwirtschaft?“ aufgegriffen. Es diskutierten Prof. Dr. Walter Frenz, Leiter des Lehr- und Forschungsgebietes Berg-, Umwelt- und Europarecht an der RWTH Aachen University, Sabine Schulz-Hammerl, Zweite Werkleiterin, Abfallwirtschaftsbetrieb München, Malte Gallée, Abgeordneter der Fraktion der Grünen / Freie Europäische Allianz, Europäisches Parlament, Bernard Kemper, Vorsitzender der Geschäftsführung von EEW Energy from Waste GmbH und Ministerialrat Dr. Uwe Neuser, Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter Moderation von Patrick Hasenkamp, VKU-Vizepräsident und Technischer Betriebsleiter AWM Abfallwirtschaftsbetriebe Münster.

Im letzten Themenblock diskutierten Fabian Fehn, Leitung der Geschäftseinheit Reinigung, Stadtreinigung Hamburg AöR, Juliana Goethe, StepStone GmbH, Monika Hermes-Hildl, Leitung Personalmanagement, Abfallwirtschaftsbetrieb München und Petra Wilhelms, Leiterin Personal und Organisation, aha Zweckverband Abfallwirtschaft Region Hannover unter Moderation von Dr. Heiko Schäffer, VKU-Geschäftsführer Zentralabteilung darüber, ob „New Work das New Normal“ ist. Darin ging es um den Umgang der kommunalen Unternehmen mit dem Fachkräftemangel, um das Recruiting und die Etablierung als Arbeitgebermarke, aber auch darum, wie sich Unternehmen in der neuen Arbeitswelt präsentieren müssen und was eine moderne Arbeitskultur ausmacht. Und was will eigentlich die Generation Z wirklich?

Last but not least stellte Dr. Ljuba Günther, VKU, die Europäische Woche der Abfallvermeidung (EWAV), die größte Kommunikationskampagne Europas in Deutschland, und Let’s Clean Up Europe vor. Sie beantwortete in einem Interview mit Dr. Holger Thärichen etwa die Frage, wie sich EWAV & Let´s Clean Up Europe unterscheiden? Wie kann man sich beteiligen? Und: Warum sollte man mitmachen?

Bei der anschließenden Mitgliederversammlung des Fördervereins VKU Abfallwirtschaft und Stadtsauberkeit VKS e.V. wurde der neue Vorsitzende gewählt. Wir gratulieren Dr. Hans-Peter Obladen als erstem Sprecher und Uli Koch sowie Ralf Gruneberg als seinen Stellvertretern.

Fazit: Vielen Dank für all die Impulse und den inspirierenden Austausch! Wir freuen uns auf ein Wiedersehen, spätestens in zwei Jahren – zum Bundeskongress 2025!