Sachstand Rote Gebiete in NRW: Aktuelle Debatte zwischen EU, Bund und dem Land NRW zur Ausweisung nitratbelasteter Gebiete

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Die Europäische Kommission hatte bereits im zurückliegenden Sommer 2021 beanstandet, dass die Bundesrepublik Deutschland die Ausweisung nitratbelasteter und eutrophierter Gebiete nicht im Sinne der Nitratrichtlinie (Richtlinie 91/676/EWG) sowie in Umsetzung des Urteils des EuGHs vom 21.06.2018 (Rechtssache C-543/16) vornimmt. Weiterhin kritisiert werden seitens der Kommission nicht die im Düngerecht enthaltenen Maßnahmen zur Senkung der Nitratbelastung, sondern die Tatsache, dass viele belastete Messstellen außerhalb der ausgewiesenen Gebiete nach AVV GeA liegen. Welche Konsequenzen aus den aktuellen Verhandlungen des Bundes mit der EU für Nordrhein-Westfalen resultieren, greift ein aktueller Bericht der Landesregierung vom 01.03.2022 auf.

Am 24.06.2021 wandte sich der für Umwelt, Ozeane und Fischerei zuständige EU-Kommissar Virginijus Sinkevicius in einem offiziellen Schreiben an die Bundesregierung, damalig in Person von Bundesumweltministerin Schulze und Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner, und äußerte „erhebliche Bedenken, dass die Länder die DüV nicht vollständig und korrekt anwenden […].“ Darüber hinaus stellt die EU-Kommission fest, dass 80% der Überwachungsstellen mit einer Nitratbelastung von über 50 mg/l sowie 96% der als eutrophiert eingestuften Überwachungsmessstellen außerhalb der ausgewiesenen Gebiete liegen und der Modellierungsansatz unter Einbeziehung emissionsbasierter Daten nicht richtlinienkonform sei. Kommissar Sinkevicius fordert die Bundesregierung in dem Schreiben der Kommission auf, die ausgewiesenen nitratbelasteten und eutrophierten Flächen in Deutschland zu überprüfen bzw. zu überarbeiten. „Andernfalls muss ich [Anm.d.Red: Kommissar Sinkevicius] erwägen, der Kommission vorzuschlagen, den Fall […] vor den EuGH zu bringen.“

Inzwischen haben die Bundesministerinnen Schulze und Klöckner ihre Ministerien an Grünen-Politikerin Lemke und –Politiker Özdemir übergeben, die nun die Verhandlungen mit der EU-Kommission federführend übernommen haben. Ausgewiesenes Ziel der neuen Bundesregierung ist es, die Umsetzung der Nitratrichtlinie aus dem Jahr 1991 sowie des Urteils des EuGHs vom 21.06.2018 schnellstmöglich zu erreichen. Wörtlich heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir ergreifen alle notwendigen Maßnahmen, um europarechtliche Verpflichtungen zur Minderung von Stickstoffeinträgen in Wasser und Luft sicher zu erreichen, und wenden damit Strafzahlungen an die EU ab.“

Damit dieses Ziel erreicht werden kann, kam es in der Folge unter Einbindung der Bundesländer zu mehreren Abstimmungsrunden und technischen Gesprächen mit der Kommission mit dem Ergebnis, die AVV GeA in wesentlichen Punkten zu ändern. Auf einige Punkte konnten sich die Verhandlungsparteien bereits grundlegend einigen:

  • Streichung der emissionsbasierten Modellierung,
  • alle roten Messstellen müssen innerhalb der ausgewiesenen Gebieten liegen,
  • einheitliche Nutzung geostatistischer Verfahren zur Binnendifferenzierung ab
  • 2028, Festlegung der dafür notwendigen Voraussetzungen,
  • bis dahin übergangsweise deterministische oder hydrogeologische/hydraulische Verfahren möglich,
  • keine Kumulation mehrerer Verfahren zulässig,
  • Berücksichtigung von denitrifizierenden Verhältnissen bei grünen Messstellen,
  • Flächenbezug auf Schlagebene statt wie bisher auf Feldblockebene; bei mehr als 20 % (bisher 50 %) Fläche in der Kulisse gehört ein Schlag zum Gebiet,
  • zwei Änderungen bei Ausweisung eutrophierter Gebiete (alle belasteten Messstellen innerhalb der Gebiete, wo dies nicht möglich, gilt § 13a (5) Düngeverordnung, d.h. größere Gewässerabstände).

Am 18.02.2022 hat der Bund einen geänderten und überarbeiteten Entwurf einer AVV GeA fristgerecht zur weiteren Abstimmung an die Kommission übersandt.

Die Landesregierung geht in ihrem Bericht „Aktueller Sachstand Rote Gebiete in NRW – Ausweisung nitratbelasteter Gebiete nach §13a DüngeVO“  vom 01.03.2022 anlässlich der Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz vom 09.03.2022 davon aus, dass sich „aufgrund der genannten geplanten Änderungen der AVV GeA […] die als nitratbelastet ausgewiesene Fläche in Nordrhein-Westfalen deutlich erhöhen [wird]. Zukünftig werden „statt der bisher etwa 165.000 ha landwirtschaftlicher Fläche […] etwa 418.000 ha betroffen sein. Bei Einbeziehung der Denitrifikation erhöht sich der Anteil auf ca. 457.000 ha.“ Die nordrhein-westfälische Landesregierung sieht nun den Bundesgesetzgeber in der Pflicht, innerhalb der nächsten 12 Monate die rechtlichen Voraussetzungen für ein solches Verfahren zu schaffen. Über den Bundesrat müsste das Land Nordrhein-Westfalen – neben den weiteren Bundesländern – einer Änderung der AVV GeA zustimmen sowie in der Folge die eigene Landesdüngeverordnung anpassen.

Die VKU-Landesgruppe NRW begrüßt die absehbare Ausweitung nitratbelasteter Gebiete in Nordrhein-Westfalen und weist darauf hin, dass durch den Wegfall der emissionsbasierten Modellierung, die Aufnahme sämtlicher belasteter Überwachungsmessstellen in die Gebietskulisse sowie den hieraus resultierenden Anpassungen in der AVV GeA nun die Nitratbelastung besser im Rahmen der Gebietskulisse abgebildet werden kann. Die derzeit gültigen Bestimmungen im Düngerecht legen zwar vermeintlich strenge Maßnahmen zur Nitratreduktion in Gewässer fest. Allerdings kommen diese Maßnahmen nur auf sehr kleinen Flächen zur Anwendung und eben nicht in allen nitratbelasteten Gebieten. Für den vorsorgenden Schutz der Trinkwasserressourcen ist es zudem eminent wichtig, auch das Nitratabbauvermögen zu berücksichtigen – also die Frage, wie lange unsere Böden das Nitrat noch abbauen können, sodass der Nitrat-Eintrag vorausschauend reduziert werden kann. Alle Messstellen zu erfassen und das Nitratabbauvermögen zu berücksichtigen entspricht den Vorgaben der EU-Nitratrichtlinien, die wir nach über 20 Jahren endlich umsetzen sollten.